News & Presse
Flächen-Intimität, die Strom erzeugt
Lars Pastewka optimiert eine Form der Berührungselektrizität, den triboelektrischen Effekt
Zwischen zwei Flächen, die sich berühren, kann niemand spicken. Darum simuliert der Mikrosystemtechniker Prof. Dr. Lars Pastewka im Exzellenzcluster livMatS – Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems der Universität Freiburg das Aneinander. Er will mehr über die Art und Menge der Kontaktpunkte herausfinden, um den triboelektrischen Effekt zu optimieren. Bei dem entsteht Elektrizität, wenn sich Flächen berühren und wieder trennen. Ein Knackpunkt: Wirklich flach sind die wenigsten Flächen. Sie haben kaum Kontakt bei intimen Berührungen.
Alles ist Himalaya – bei ausreichender Vergrößerung. „In der Natur gibt es keine absolut glatten Flächen“, sagt Lars Pastewka vom Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Universität Freiburg. Genug vergrößert präsentiert sich selbst Spiegelglattes wie eine Gebirgslandschaft. Pastewka, den Professor für Simulation, interessiert das, weil er für eine Kooperation im Exzellenzcluster livMatS den triboelektrischen Effekt (TBE) optimiert. Bei dem entsteht Elektrizität, wenn sich Flächen berühren und wieder trennen. Was da im Detail abläuft, ist unbekannt: Niemand kann zwischen die Flächen schauen, solange sie sich berühren. Doch Pastewka weiß einen Ausweg. Er modelliert das intime Fläche-an-Fläche am Computer: „Wir benutzen Simulationen als virtuelles Mikroskop.“
„Die Kontaktfläche geht gegen null“
In livMatS entwickeln Forschende neuartige, bioinspirierte Materialien, die sich verhalten, als würden sie leben – die sich also beispielsweise bewegen, reagieren oder verändern. „Die nötige Energie müssen sich die Materialsysteme selbst besorgen“, sagt Pastewka. „Sie sollen autark sein.“ Der TBE sei eine Möglichkeit zum „energy harvesting“, dem Energiegewinn aus der Umgebung: „Wenn sich zwei Oberflächen berühren, findet zwischen ihnen ein Ladungstransfer statt.“ Löst sich der Kontakt wieder, trennen sich auch die Ladungen. Sie lassen sich als Elektrizität abgreifen. „Bisher gibt es nur triboelektrische Generatoren, die auf Ausprobieren und Erfahrung basieren“, erzählt Pastewka. „Wir wollen den Effekt grundlegend verstehen, um ihn systemisch nutzen zu können.“
Er möchte zum Beispiel herausfinden, wie optimale Oberflächen aussehen müssten. Eher glatt, hügelig oder gebirgig? Übliche, augenscheinlich glatte Flächen berühren sich wegen ihrer Himalaya-Natur so gut wie gar nicht, erzählt Pastewka: „Die Kontaktfläche geht gegen null.“ Für stabile Verhältnisse reichen schon drei submikroskopische Kontaktpunkte aus – drei Gipfel im großen Himalaya-Gebirge. Diesen entspringen die Ladungstrennungen, die den TBE ausmachen. „Wenn sich raue Oberflächen verformen, zum Beispiel indem wir sie aneinander pressen, bekommen wir mehr Kontakte“, sinniert der Spezialist für Simulationen: Dann drückt es Himalaya-Gipfel platt, sodass sich weitere Punkte berühren
Gute Hypothesen als Einstieg in Simulationen
Zwischen Kontaktflächen wirken allerdings Anziehungskräfte, etwa die schwachen Van-der-Waals-Kräfte. „Aber bei 100 Prozent Flächenkontakt könnte ein Centstück durch diese Kräfte Gegenstände festhalten, die eine Tonne wiegen“, sagt der Mikrosystemtechniker, der seine Diplomarbeit einst an der Professur gemacht hat, die er heute selbst innehat. Je mehr Berührungspunkte, desto stärker haften Flächen aneinander und desto mehr Energie kostet es, sie zu trennen. Wie das die Ausbeute vom TBE beeinflusst, sollen Pastewkas Simulationen klären. „Wahrscheinlich müssen die Kontaktflächen dafür eher hügelig sein“, glaubt er. Auch tribologische Experimente deuten an, dass eine Mischung aus Himalaya und Elastizität wohl am besten ist.
Also simuliert Pastewkas zehnköpfiges Team, wie sich oberflächliche Rauheit und Elastizität auf den TBE auswirken. „Entscheidend ist, mit einer guten Hypothese in die Simulation einzusteigen“, betont Pastewka. „Dazu gehören Erfahrung, Intuition und ein bisschen Glück.“ Die Hypothese könnte etwa lauten: Ladungen, die beim TBE auszutauschen sind, befinden sich an Himalaya-Gipfeln. Diese Aussage müssen Pastewka und sein Team in Algorithmen umsetzen. Simulationen bilden die Situation stets vereinfacht ab: Was ihnen wichtig erscheint, nehmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit rein. Alles andere lassen sie weg. Dadurch soll der Aufwand beherrschbar werden – auch für die Großrechner. Dort laufen Simulationen sonst unendlich lang. Doch die Rechenzeit ist limitiert. Am Ende versagt Pastewkas Modell oder es haut hin – es widerlegt oder bestätigt seine Einstiegshypothese: „Das Ergebnis müssen Validierungsexperimente dann noch praktisch untermauern.“
Ans Ziel kommen – in endlicher Zeit
In seiner zweiten livMats-Kooperation simuliert er verschiedene Designs von Elementarzellen in Metamaterialien. Millionen dieser Bauteile – winziger als Staubkörner – bilden intelligente Materialsysteme. Ob und wie sich diese Systeme beispielsweise selbständig verformen können, hängt vom Aufbau ihrer Elementarzellen ab. Die entwirft Mikromechaniker Prof. Dr. Chris Eberl vom IMTEK noch mit viel Hand- und Kopfarbeit. „Jetzt simulieren wir verschiedene Entwürfe und ihre Eigenschaften“, sagt Pastewka, „Irgendwann soll der Computer automatisch die besten Designs für Elementarzellen mit bestimmten Fähigkeiten finden.“
Die TBE-Kooperation, hofft er, könne in drei bis vier Jahren Prototyp-Systeme präsentieren: „Da untersucht meine Gruppe makroskopische und mikroskopische Wechselwirkungen zwischen Oberflächen quantitativ und qualitativ.“ Die atomaren Wechselwirkungen simuliert Prof. Dr. Michael Moseler am Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM. Die Professorin für Molekulare/Organische Funktionsmaterialien Dr. Birgit Esser vom Institut für Organische Chemie der Universität Freiburg entwickelt die Materialien. Denen verleihen die Professoren für die Konstruktion von Mikrosystemen, Dr. Peter Woias, und für Chemie und Physik von Grenzflächen, Dr. Jürgen Rühe, beide vom IMTEK, strukturierte Himalaya-Oberflächen. Bevor Woias triboelektrische Generatoren baut, analysiert Dr. Bizan Balzer vom Institut für Physikalische Chemie die Oberflächen noch per Rasterkraftmikrokopie.
„Unsere Simulationen laufen gerade an“, sagt Pastewka, der an der Universität Freiburg schon Mikrosystemtechnik und Physik studiert hat. Nach seiner Promotion am IWM und Zeiten als Postdoc und Nachwuchsgruppenleiter an der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) brachte er 2017 einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) zum Antritt seiner Professur am IMTEK mit. Parallel zu den Simulationen schaut sich seine Gruppe mithilfe experimentierender Partnerinnen und Partner Testmaterialien in praktischen Versuchen an. Auch deren Messergebnisse fließen in das Modell ein, das den TBE enträtseln soll. Daran orientiert sich auch Lars Pastewkas größter wissenschaftlicher Wunsch: „Ich würde gerne eine übergreifende Theorie zur Tribologie entwickeln und mit einer Simulation lösen – in endlicher Zeit.“
Jürgen Schickinger
Weitere Artikel dieser Serie:
Die künstliche Falle
Intelligente Flugzeugflügel könnten Sprit sparen
Kleines, scharfes Auge
Eine Sprache für die Spuren zwischen Natur und Technik